Ich sehe mich als Gasthörer in einer Position der Zurückhaltung, in einer Rolle als Zuhörer. Lehrveranstaltungen sind zuförderst für die Studierenden da, sie sind es die sich den Lehrstoff erarbeiten sollten, die die Chance haben sollten sich zu beteiligen, die die Diskussion führen sollten, sich einbringen sollten, die Honig aus der Kommunikation saugen sollten. Auch Präsenzveranstaltungen sehen unterschiedliche Beteiligung, es gibt (einzelne) Gesprächsführerïnnen und Schweigende. In den Onlineveranstaltungen fühle ich mich in einer zähen Gesprächssituation unbehaglich, insbesondere wenn es längere Zeiträume des Schweigens gibt. Ich gebe meine Zurückhaltung auf und melde mich öfter zu Wort als ich möchte. Das ist mir ebenfalls unangenehm aber vielleicht kann ich so zu ein wenig mehr Engagement anregen. Zudem hinterfrage ich die Position der Gasthörerïn als eine zu-hörende.
In der jeweiligen Sprache lesen
Bis jetzt hatte ich auch Lehrveranstaltungen deren Gegenstand sich in der Orginalsprache am besten darbietet: altgriechische Poetik, chinesische Ästhetik, (alt)hebräische Texte, alt-/mittel(hoch)deutsche Schriften – Philologie als Grundlage. Doch keine dieser Sprache beherrsche ich, begnügen muß ich mich mit Übersetzungen. Werden Übersetzungen dem Gegenstand gerecht oder fügen sie zusätzliche Verzerrungen dem Verstehen, dem Deuten hinzu?
Webex ohne Video
Im Kurs scheinen viele schüchterne Menschen zu sein, die Äußerungsfreude ist gedämpft, keine Diskussionsfreude vorhanden. Einige Teilnehmerïnnen haben Video an, die meisten nicht. Der Dozent schaltet den Kurs in Teilgruppen. In einer Teilgruppe haben alle Teilnehmerïnnen Video und Audio abgestellt. Nach einer gefühlten Weile erscheint ein Sprecher, danach eine weitere. Mehrere melden sich nacheinander zu Wort, das Eis scheint zu brechen. Bei allen bleibt die Videofunktion ausgestellt.
Gibt es einen Zusammenhang zwischen Videofunktion und Kommunikation? Erleichtert die Bildlosigkeit die Kommunikation? Ist das eine Beichtstuhlsituation?
Streaming von Ringvorlesungen
Öffentliche Ringvorlesungen sind eine bewährte Lehrform der Universität. In Zeiten der Pandemie wird diese Lehrveranstaltung in elektronischer Form internetbasiert weitergeführt. Das versetzt Gasthörerïnnen in die Lage sich wohnortunabhängig von verschiedenen Universitäten interessegemäße Pakete von Vorlesungen zusammenzustellen. Das ist ein sehr großer Gewinn für die Universität und die Öffentlichkeit und sollte über das Ende der Pandemie hinaus beibehalten werden.
Philosophie, Ökonomie, Philologie, Informatik, Judaistik, Chemie, Geographie und Altertumswissenschaften in entspanntem Ambiente zuhause auf der Couch hören ist kein Konsum, es ist zeitgemäße (Weiter)Bildung.
Digitalsemester und Gasthörerïnnen
Das WiSe 2020/2021 ist für Gasthörerïnnen das erste Digitalsemester, für Angehörige der Freien Universität bereits das zweite. Es brauchte eine Gewöhnung an die Technik von WebEx und das Erlernen von richtigen Verhaltensmustern während des Streams wie die Zeit von Verlesungsbeginn bis heute zeigt. Es ist gelungen. Es gibt sogar begeisterte Zustimmung zum Distanzlernen, es ist bequem von Zuhause aus, beim Kaffeetrinken oder gar liegend im Bett.
Die Mittel des Distanzlernens sind folgende:
- WebEx als Streamingdienst
- Bereitstellung von Podcasts pro Sitzung auf Blackboard
- Bereitstellung von pdf-Dateien pro Sitzung auf Blackboard
- Nutzung des Universitätswikis
- Bereitstellung von Power Point-Dateien samt Audiodateien auf Blackboard
- Kombinationen der vorausgehenden Mittel
Das neue GasthörerCard-Programm für den Art-Bereich des SoSe 2021 ist erschienen. Dort liegt der Fokus der Veranstaltungen, insbesondere das Vortragsweltenangebot erneut auf dem digitalen Format. Für die Zukunft ist zu erwarten, daß das digitale Format bleiben wird, in welchem Umfang das Angebot sein wird ist offen…
Besuchte Lehrveranstaltungen im WiSe 2020/2021
Institut für Deutsche und Niederländische Philologie
- Verschwörungstheorien – Ralf Schlechtweg-Jahn
- Digital Humanities jetzt – Berenike Herrmann
- Comics – Kunst – Körper: Konstruktion und Subversion von Körperbildern im Comic – Irmela Marei Krüger-Fürhoff
- Berliner Weltliteraturen: Internationale literarische Beziehungen in Ost und West nach dem Mauerbau – Jutta Müller-Tamm
Institut für Theaterwissenschaften
- Poetik und Politik der Fantasy – Daniel Illger
Institut für Volkswirtschaftslehre
- Öffentliches Recht – Helge Sodan
Art-Programm: Vortragswelten
- Kunstgeschichte im Fokus: Bilder, die die Welt bewegen – G. Moeller, J. Maruhn, J. Knecht, K. Kohlhoff, F. Hauffe
- Umbrüche der Geschichte – T. Frank, D. Schönpflug, M. Hampf, M. Hausleitner, F. Schulze, D. Koerfer, F. Di Palma
- Kunstraub und Gier: Eine Geschichte des Plünderns seit der Antike – Hildegard Wiegel
- Die Kreuzzüge aus kulturhistorische Sicht – Brigitte Pedde
Die erste Vorlesung im Wintersemester 2020/2021
Weiter geht es für Gasthörerïnnen. Das ist eine gute Nachricht. Meine erste Vorlesung heute ist aus dem GasthörerCard Art-Bereich: „Kunstgeschichte im Fokus – Bilder, die die Welt bewegten“. Sie ist natürlich virtuell; sie wird über Webex gestreamt.
Die Form ist für viele Teilnehmerïnnen gewöhnungsbedürftig, besteht das Art-Publikum eher aus bemoosten Häuptern, dem diese Technik fremd ist. Dementsprechend kommt es zu lustigen Situationen, die den Beteiligten nicht bewußt sind. Kameras werden nicht ausgemacht und die Teilnehmerïnnen können in die Örtlichkeiten der anderen schauen und ihr Verhalten während der Veranstaltung sehen. Da wird aufgestanden, hin und her gelaufen, gegessen und all die Dinge gemacht bei denen man sich unbeobachtet glaubt. Auch das Stummstellen des Mikrophons ist nicht so einfach wie gedacht. Gespräche werden unabsichtlich mitgehört und stören während der Vorlesung. Manche denken wohl, das Stummschalten bedeute, daß sie selbst nichts hören. Das richtge Verhalten in solchen Situationen will erst eingeübt werden. Lustig war es und interessant …
Besuchte Lehrveranstaltungen im SoSe 2020
Coronabedingt keine Lehrveranstaltungen für Gasthörerïnnen.
Besuchte Lehrveranstaltungen im WiSe 2019/2020
Institut für Deutsche und Niederländische Philologie
- Körper, Kleider und Moden in der Literatur von der frühen Neuzeit bis ins 18. Jahrhundert – Geza Dane
- Bildersprache -Medienkonkurrenz. Literarische Bild-Text-Bezüge von der Frühaufklärung bis zur Gegenwart – Friederike Günther
- Erzähltheorie – Ralf Schlechtweg-Jahn
- Einführung in die Sprachwissenschaft – Roland Schäfer
Art-Programm: Vortragswelten
- Festveranstaltung 20 Jahre Gasthörercard-Programm: Hommage an Raffael – Thomas R. Hoffmann, Kolja Kohlhoff, Matthias Vollmer
- Methoden der Kunstgeschichte: Grundlage für die wissenschaftliche Analyse von Kunstwerken – Karin Kranhold
- 30 Jahre Mauerfall – Die Kunst der DDR – Barbara Hofmann
Ausdünnung
Interessante Veranstaltungen in Philosophie – zur Kritischen Theorie. Die Gräzistik mit der Einführungsveranstaltung zu Philosophie, Rhetorik und Prosa. Leider nicht geöffnet für Gasthörerïnnen. Die Ausdünnung ist massiv. Was bleibt ist die Deutsche Philologie.
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